Nowalingu’s letzter Tag

Mit einem geschäftigen Rascheln und Knistern beginnt Nowalingu’s letzter Tag im Morgengrauen. Ihr Stamm verlässt das errichtete Nachtlager in den Bäumen, um weiter gen Osten zu ziehen. Schon seit drei Generationen werden die Tage immer wärmer und feuchter. Riesige Flussebenen und Sumpfgebiete bedecken das Land bis zum Horizont, in denen tausende Tiere leben. Die Vogeljagd war erfolgreich, doch bis sie ihr Hauptdorf in den höheren Ebenen des Yikaluru erreichten würde es noch 2 Wochen dauern.

Kleine Kanus in denen jeweils zwei Erwachsene stehen konnten, begleiteten sie über das unwegsame Gebiet. Somit waren sie auch einigermaßen sicher vor Krokodilen. Nowalingus Mann Ridjimiraril war ein geschickter Krieger, so dass sich die stapelnden Sumpfenteneier in ihrem Boot gelb-orange in der aufgehenden Sonne spiegelten. Sie war stolz, dass er sie diesmal als Begleitung für die Jagd mitgenommen hatte und seine beiden älteren Frauen zu Hause die Kinder hüteten. Ridjimiraril war sich nicht sicher, ob es eine gute Idee war Nowalingu, seine jüngste, unerfahrendste Frau, mitzunehmen. Aber sie erwies sich als geschickt und weniger träge. Zufrieden hörten beide  den lustigen Geschichten der Alten zu, als dichter Regen von den Wolken fiel. Nach und nach ebbten die Gespräche ab, Wasser musste aus den Booten geschöpft werden und lautes Rauschen umgab die kleine Gruppe der Aborigines.

Sie erreichten einen großen See. Sein Wasser war salzig, weshalb nur hier der Tang wuchs, den sie zum dichten und befestigen ihrer Weidenzelte gebrauchten.

Während die Gruppe an dem Ufer des Sees entlang gleitete, sammelten die Frauen den Tang mit hakenförmigen Stöcken.

Zu spät gewahrte Nowalingu den Schatten im Wasser… das Krokodil schnellte blitzartig aus dem Wasser und bohrte seine Kiefer in Nowalingus Schulter. Sie schrie auf, versuchte sich krampfhaft am Boot festzuhalten, aber das Gewicht und eine rasche Kopfbewegung des Reptils zerrten sie ins Wasser. Ridjimiraril schlug mit dem Ruder auf das Krokodil ein bis er endlich seinen Speer zu fassen bekam, doch alles was er sehen konnte war eine sich ausbreitende Blutspur. Verzweifelt warf er seinen Speer dort hin, wo sich letzte Wasserwirbel zeigten. Der Speer traf den Rücken des Krokodils, schwamm mit ihm ein Stück weiter und verschwand….

 

Jim Bowler entzog sich wieder einmal einem Streit mit seiner Frau.

Wortlos setzte er sich in seinen Wagen, drehte das Radio auf  – und sobald er aus der Sichtweite seines Gewissens war, auch seine Zigarette. Er wollte einfach nur raus. Abgesehen davon, dass Canberra noch im Aufbau war, war der Busch sein wahres zu Hause, zumindest fühlte er sich da wohl. Gut das Steine keinen Mund haben, dachte er sich, warum haben Frauen dann gleich zwei? Jim lächelte in sich hinein und drückte aufs Gas. Letztes Wochenende hatte er am Mungo Lake ausstreichende Schichten entdeckt, vielleicht konnte er sie ja irgendwie in die noch sehr karge Stratigraphie einordnen. Gerade an Seen boten sich ausgezeichnete Datierungsmöglichkeiten. Er war Geologe.

Die Hitze war erträglich, deshalb war auch der See relativ unbesucht.

Nachdem er einige Kilometer am Ufer entlang spazierte und immer mal hier und da ein Bruchstück aufhob oder schlug, kam er endlich an eine Stelle in der die Schichten wunderbar heraustraten. Er griff zu seiner Fotokamera und wollte gerade seinen Hammer als Maßstab in die relativ jungen, weichen Schichten hauen, als ihm ein ungewöhnlich großer Stein in den feinen Tonschichten auffiel. Jim fing an zu buddeln und zu seiner Aufregung kristallisierten sich zwei Augenhöhlen heraus. Er wurde vorsichtiger, und löste den Schädel nicht ganz heraus. Er machte ein Foto verdeckte den Schädel mit Grünzeug und fuhr auf der Stelle zurück nach Canberra zu seinem Freund Collin, Wissenschaftler am Museum of Nature.

Jims Ahnung sollte sich mehr als bestätigen. Der Schädel, der nur der Anfang eines nahezu kompletten weiblichen Skelettes war (nur Teile der linken Schulter fehlten, was für ein Zufall , wurde auf 60000 Jahre datiert. Auch damals war Australien schon eine Insel. Wie konnten sich Menschen dann vor so langer Zeit hier entwickeln? Diese Frage beschäftigte Jim ein Leben lang….

 

Heute wird die Präsenz der Aborigines auf 45000 Jahre angesetzt. 45000 Jahre in völliger Isolation. Dies bedeutet, dass die Aborigines die älteste, unveränderte Kultur der Welt haben! Und da sie auch nie ein Konkurrenz hatten, mussten sie sich technisch und physisch nicht weiterentwickeln, als für ihr Überleben notwendig. Deshalb ist ihre Physiognomie stark an die Natur angepasst. Mit dünnen, schnellen Beinen, ledrigen breiten Füßen und großen Augen mit langen Wimpern. Außerdem kennen sie in ihrer Sprache keine Worte wie gestern, heute oder morgen für sie ist Zeit absolut bedeutungslos, auch wenn wir das gar nicht mehr nachempfinden können. Eine schöne Anekdote aus James Cook Logbuch ist:

„… die Ureinwohner schienen uns gar nicht wahr zu nehmen. Als wir mit unseren Schiffen strandeten schauten sie nur kurz auf und konzentrierten sich dann gleich wieder auf ihren Fischfang.“

Weil für die Aborigines immer alles kam und wieder ging, sie wussten nicht, dass die Europäer bleiben würden….

 

Im 19. Jahrhundert wären die Aborigines beinahe durch die Krankheiten, die die Europäer mitbrachten ausgestorben. So starben von den anfangs schätzungsweise 330000 Aborigines 260000. „Nur“ 20000 davon vielen durch Kräueltaten der Weißen zum Opfer, was ich nicht gedacht hätte. Eine grausame Geschichte, die ich besinders bewegend fand, war die, dass einige Weiße Männer zum „Spaß“ eine Aborigine-Frau gefangen nahmen, zu einem Baum schleiften, auf den sie schnell geflüchtet ist. Und dann mit ihren Gewehren in den Baum schossen. Immer wenn eine Kugel die Frau traf steckte sie sich blätter in die Wunde, bis sie tot zu boden fiel. Das ist aber nur ein Beispiel von vielen, meist noch schlimmeren Taten auch an Kindern.

 

1926 wurden die letzten Aborigines ermordet. Wobei bereits 1838 die erste Gegenbewegung begann, in der die ersten Städter gegen das Gemetzel waren. So kam es zu einem Prozess bei dem Männer freundlich gesinnte Aborigines zu einem Haufen zusammen banden und danach erschossen. Einer der Männer verteidigte seine Tat tatsächlich mit der Antwort, dass er nicht wusste, dass es verboten sei auf Aborigines zu schießen.

 

1967 wurde den Aborigines dann endlich auf einem Papier die Gleichberechtigung eingeräumt. Die meisten Aborigine leben heute im Northern Territory, also quasi in meinem Staat. Das lustige ist jedoch, das die Sitze im Parlament prozentual zur Bevölkerung verteilt sind. Da im N.T.nur rund 500000 Seelen leben haben sie auch nur 2 Sitze von 127!

das ist weniger als Tasmanien)

1969 war Jim Bowlers Fund.

2006 betrat Alex die „Insel“ und alles sollte sich ändern….

 

Aber nicht nur die Aborigines sind die Ureinwohner auch die vielen Termiten, Spinnen, Schlangen, Opossums, Koalas, Wombats, Flugfüchse, Emus, Kängurus, Krokodile und Dingos. Aber auch der berühmte Eukalyptus, von dem es sage und schreibe 900 Arten in Australien gibt.

Übrigens ist es sehr beunruhigend zu wissen, dass in einem Land, wo es die meisten giftigen Tierarten gibt, es noch mehr giftige Pflanzenarten gibt als Tiere. Da gibt es welche, deren Dornen zu tödlichen Infektionen führen können, wenn man sie nicht sofort entfernt oder welche deren Saft zu Blindheit führt oder oder oder…

 

Ein paar Besonderheiten hab ich mal rausgepickt:

Der Königseukalyptus ist zum Beispiel mit 95m höhe mit der größte Baum der Welt. Eine andere Eukalyptusart (deren Name, wie ihr merkt, ich schon wiedermal  vergessen habe) produziert überschüssiges hoch entzündliches Öl,lässt es dann auf die Pflanzen in den unteren Stockwerken tropfen. Diese Tropfen erzeugen unter anderem auch einen „Lupeneffekt“ wovon sie sich selbst entzünden und die Bäume so ihre Konkurrenz einfach einäschern. Denn selber haben sie in ihrer Rinde auch Wasser gespeichert, dass sie nicht so hitzeempfindlich ist.

Desweiteren gibt es hier 3,5m lange Regenwürmer, mit 5-10cm Durchmesser.

Diese sind auch in einem „Extrazoo“ zu betrachten.

Wovon ihr auch noch erfahren müsst, sind die riesigen, beeindruckenden Termitenhügel! Von 2-5m Höhe. Wobei die Termiten für 5m Hügel 150 Jahre benötigen. Glücklicherweise ist mein Bürozimmergenosse Ameisenexperte. Er beschäftigt sich mit den „magnetischen“ Termiten.

Diese bauen ihre „Burgen“ immer in Ost-West Richtung, um eine ideale, konstante Temperatur im Inneren zu gewährleisten. Außerdem hat mein netter Zimmergenosse (ein aus China stammender Australier mit dem schönen Namen Renkang Peng) Experimente durchgeführt, in denen sie diese Termiten einem künstlichen, dem Erdmagnetfeld um 90° verschobenen Magnetfeld ausgesetzt haben, und auch die Termiten legten ihre Straßen um 90° versetzt an. D.h. Sie haben irgendwelche Sensoren in oder an ihren Antennen, die immer das stärkste Magnetfeld ausmachen. Meine Idee: die Herstellung eines Bio-Termitenkompass mit Vermarktung an alle Reformläden. Man müsste den Kompass dann nur mit genügend Cellulose versorgen. 🙂

Erwähnung sollen auch die Schwärme der Fugfüchse bekommen, die bei Dämmerung den ganzen Himmel überziehen. Als ich hier neu gestrandet war, hielt ich sie immer für Vögel, da ihr Flügelschlag so langsam ist und ihre Spannweite mit schätzungsweise 50cm oder mehr auch eher an die gefiederten Freunde erinnern. Aber irgendwann hab ich die Spitzöhrchen gesehen und die nach hinten weggestreckten „Beine“. Durch ihre Größe kommt man hier schon viel eher auf den Gedanken, das sich Transilvanien auf Australien befindet, und nicht irgendwo in den Tiefen Rumäniens. Ich würde behaupten die Vertreter der Art hier sind die größten fliegenden Säuger.

Abirede 2001

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Nun ist es wie jedes Jahr, mal wieder Zeit für ein süß-saures Abschiedshallo. Ein Hallo an alle dieses geselligen Kreises und ein Abschied an diejenigen, die 8-9 Jahre unseres Lebens prägten. Wie sie es für jeden einzelnen von uns beeinflußten sei dahingestellt, auf jeden Fall gaben sie uns Erfahrung und viel Wissen mit auf den Weg. Ob es nun von den gemeinen Brüchen bis hin zur Integralrechnung reichte oder aber von den verschiedensten Fällen bis zur Analyse und Interpretation, nicht nur von Literatur. So waren diese Personen die Scharfrichter unserer Taten und Createure mannigfaltiger Fähigkeiten – kurz unsere Lehrer denen wir hiermit für alles danken wollen.

Lassen wir unseren Blick nun dort hinüber schweifen, wo wir als kleine Kerne zu lernfähigen Früchtchen reiften, während die restlichen Tage der DDR mit den Einschulungssüßigkeiten hinuntergeschluckt wurden, machte sich die Wende nur am schwerer werdenden Sparschwein bemerkbar, welches jetzt mit Silber gefüllt war anstatt mit Aluminium.

Ansonsten blieben die Streitigkeiten um einen Luftballon oder Spielzeug die gleichen, nur die Erwachsenen schienen bewegter und aufgeregter. Jeder hatte so seine abenteuerlichen Erlebnisse, die er mit seiner Familie teilen konnte. Heute teilt man sich lediglich noch den Wohnungseingang und die Telefonkosten. Die Betreffenden, welche mit diesem kurzen geschichtlichen Abriss gemeint sind, dürften jetzt in sich hinein geschmunzelt haben, unsere guten alten Eltern. Wobei sich die Adjektive „gut“ und „alt“ rein perspektivisch ergeben.

Wie dem auch sei, jedenfalls haben wir es hier mit 12 langen Jahren zu tun, bei manch einem mehr, selten weniger. Also 12 Jahre von 18, O Gott Frau Melzer helfen sie mir, ja das sind 66,6 Periode Prozent usw. von unserem bisherigen Leben. Während dieser Zeit wurden die unterschiedlichsten Charaktere auf engsten Raum in Klassen zusammen gepreßt. Wir durchwanderten gemeinsam die verschiedenen Phasen: von der Sandkiste zur Schmuckkiste, vom Matchboxer zum eigenen Gefährt.

Mit den Klassen meine ich übrigens nicht nur Zahlen wie 10/3, 10/1 und dergleichen, sondern die komplizierte patriarchische Strukturierung der Schule. Da wären 5 große Klassen:

In der 1. Klasse steht der gesetzerlassende Direktor, welcher von einer höheren Macht eingesetzt wird, er beherrscht außerdem die Judikative, deren Repräsentanten dann die Lehrer darstellen.

In der 2. Klasse befinden sich Autoritätspersonen 2. Ranges, die die rechte und linke Hand des Direktors verkörpern, die Sekretärin und der Hausmeister- Rat und Tat.

In der 3. Klasse schließlich befinden sich die schon oben erwähnten Lehrer deren Aufgabenfeld sehr vielschichtig zu betrachten ist.

Erstens bilden sie die Schüler aus, die die 5. und letzte Klasse bilden, damit diese eventuell eine höhere Ebene erreichen. Zweitens besitzen die Lehrer verheerende Bestrafungsmöglichkeiten um jede Rebellion, die sich im Kaugummikauen und –kleben, sowie in mysteriösen Konversationen über 0,01 Dezibel während des Unterrichts äußern.

Um diesem entgegen zu wirken werden Maßnahmen ergriffen, die die Psyche eines Schülers auf stärkste angreift und ihn somit kontrollierbar macht. Ein Beispiel dafür wäre das Erteilen einer 6 für vermeintlich nicht erbrachte Leistung oder das mehrere Kilo schwere unmenschliche Schulbüchertragen über Tausende von Etagen. Drittens bilden sie eine Art Kollektiv, das gemeinsam assoziiert ist. Diese gedankliche Verbundenheit wird durch die Energieaufnahme mittels immensen Kaffeekonsums erreicht. Somit weiß sofort jeder Lehrer über das Verhalten und die Leistungen eines Schülers bescheid. Und 4. das repräsentative Vertreten des Direktors, welches sich in der Entscheidung über Aufstieg eines Schülers äußert, was wiederum Hoffnung auf baldige Entlassung bedeutet, oder dem Wiederholen eines solchen extremen „Bildungsjahres“. Die Entscheidung ist vollkommen willkürlich und übersteht nur derjenige, der beim auswürfeln der Note in den einzelnen Arbeiten Glück gekauft hat. Allerdings reichen unsere Informationen hierüber nicht ganz aus, da das Würfeln an geheimen Orten geschieht, wie verräucherten Cafes oder aber im priv. Versteck der Lehrer, die unauffindbar sind.

Kommen wir nun zur 4. Klasse , den Putzfrauen und Bauarbeitern, eine unmerkliche unscheinbare Klasse, die aber stets zur Erhaltung der Schulhardware beiträgt und folglich sehr bedeutend für das Schulkonzept ist. Die Bauarbeiter renovieren und schließen jeden Riß und jedes Loch, damit der Gedanke an eine Flucht in der Unterrichtszeit gar nicht erst aufkommt. Die Putzfrauen hingegen beseitigen jeden Schmutz und Müll der auch nur im Geringsten ein Fluchtwerkzeug darstellen könnte und melden dies der obersten Direktive. Diese setzt sogenannte Belehrungen auf, welche die Schüler in ihrer dynamischen Freiheit auf´s Minimalste einschränkt. Das bei all den Aktivitäten der 4. Klasse das Äußere der Schule auf  Hochglanzgebracht wird, ist natürlich nur Blendwerk für Schüler und Öffentlichkeit.

Und nun zur letzten Etappe- der 5. Klasse- unsere Wenigkeit. Wie schon zur Zeit des Absolutismus bildet die ärmste und versklavte Schicht den größten Teil der Bevölkerung, so auch die rund 630 Schüler. Ihr Hauptmerkmal sind die übergroßen so definierten Ranzen, die sich auf dem Rücken der Opfer befinden und an die sie die ganze Schulzeit gefesselt sind. Damit wird ein zu schnelles körperliches Wachstum verhindert und die Umstellung vom freiheitsliebenden Kind zur Knechtschaft erleichtert. In diesen riesenhaften Rucksäcken oder wie die älteren schon englisch sprechenden Schüler sagen: Backpack, befindet sich all das Wissen, das eigentlich im Kopf sein sollte, sowie Verpflegung für die Tagesreise von den heimischen Gefilden zur Schule und zurück. Die 5. Klasse hat keine Rechte außer auf Bildung und hat den oberen Schichten bedingungslos zu gehorchen. Für den Schüler gibt es keine Freizeit, da diese von Hausaufgaben ausgefüllt wird und beim Schüler zu unsäglicher Erschöpfung führt. Die Ferien sind wie immer zu kurz um sich davon zu erholen. Doch inzwischen existiert eine Untergrundorganisation, die von unserem Schulsprecher angeführt wird und dem die Klassensprecher Bericht erstatten. Wir sind stolz schon so manchen Papierkrieg gewonnen zu haben und vielleicht in absehbarer Zeit werden wir eine Demokratie besitzen, wie sie schon früher in der guten alten Steinzeit existierte.

Ich glaube an die Freiheit von Schülern und Jugendlichen.

Ich glaube an die Sprengung ränzischer Fesseln.

Und ich glaube der Tag wird kommen, an dem Schüler, Putzfrauen, Lehrer, Sekretäre als auch Hausmeister und selbst der Direktor zusammen tanzen und wieder jagen werden, wo das Überleben und nicht das Allgemeinwissen, wo die Gemeinschaft und nicht die Klassen herrschen werden. BITTE APPLAUS !!!

 

Nachdem wir hier in aller Öffentlichkeit nun endlich einmal unsere Träume proklamiert und die schrecklichen aber wahren Hintergründe dieser Schule aufgedeckt haben, wollen wir ehrenvoll abtreten. Die Zukunft den jüngeren überlassen, die Vergangenheit als hoffentlich schöne Erinnerung den Älteren oder Reiferen vermachen. Das Heute erleben, genießen, feiern, jetzt und vor allem heute Abend, wo sie alle sehr herzlich willkommen sind. In diesem bedeutendem Sinne möchten wir uns noch einmal für all das nicht in Worte zu fassende bedanken, und wünschen uns dem ein oder anderem mal wieder zu begegnen.

Des Menschen Wege sind unergründlich.

Liebesgeschichte

Es fing an einem sonnigen, aber kalten Sonntagmorgen an. So eine Kälte, wisst ihr, die kleine Eisblumen an die Fensterscheiben malt und wo man sich zweimal überlegen muss was man denn am besten anzieht um es draußen nicht zu kalt und drinnen nicht zu warm zu haben.

Als ich dann endlich meine morgendlichen Entscheidungen alle hinter mir hatte und ich bereits die behagliche Wärme der Kaffeetasse in meinen Händen hatte, überprüfte ich noch mal meine Einladung: ‚Congress de gestion de l’environnement’ Montag – Freitag 10.-14. Februar 2014, Nimes, Frankreich; Teilnehmer: Francois Latent.

Soweit so gut. Das Zugticket für den Schnellzug, den TGV, hatte ich auch in der Brusttasche, also konnte es losgehen.

Ich folgte meinem dampfenden Atem bis zum Hauptbahnhof Amsterdam und setzte mich auf meinen reservierten Platz.

Nun könnte ich erzählen, dass ich meine Liebe bereits romantisch im Zug traf, aber dem war nicht so. Geschichten können fiktiv oder wahr sein, – der Leser entscheidet was er wahrhaben möchte.

Ich fahre schon mein Leben lang Zug, so fühlt es sich zumindest an, und jedes Mal ist es mir nie langweilig, wenn man einfach so den Gedanken freien Lauf lässt und die Landschaft an einem vorüber zieht und schließlich wie ein Baby in den Schlaf gewiegt wird.

Und eh’ ich mich versah war ich im Süden Frankreichs, in Nimes, das haben Schnellzüge wohl so an sich.

Ich ging zu meinem Hotel, es war schon seit ein paar Stunden dunkel, legte meine Tasche und meine tausend Kleidungsschalen ab, die ich am Morgen so bedacht ausgesucht hatte und nahm erstmal eine heiße Dusche. Das ist so eine Eigenart von mir geworden. Irgendwie errichtet man sich automatisch seine kleinen Rituale wenn man viel unterwegs ist, wahrscheinlich um eine gewisse Stabilität nicht zu verlieren. Aber ich komme vom Thema ab. Ihr wolltet ja etwas über die Liebe lesen und nicht über Francois’s Reisegewohnheiten.

Also, nach einer kurzen nächtlichen Erkundungstour von Nimes, brach ich am folgenden, nicht mehr ganz so kalten Morgen (denn schließlich sind wir ja im Süden Frankreichs), zur Konferenz auf um mich als Teilnehmer zu registrieren.

9 Uhr begann der erste Vortrag, es war 8:50, perfekt, genau noch genug Zeit für einen französischen Kaffee. Gesagt – getan, und auf zum Vortrag meiner Wahl.

Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht mehr worum es da gehen sollte, was auch egal ist, denn ich kam sowieso nicht mehr hinein, das Zimmer war vollkommen überfüllt. Tja Pech. Also nehmen wir den nächstbesten Vortrag und das war meiner Meinung nach ‚Communication et marketing dans une entreprise de l’internet, what is there to improve in a company?’

Okaaay, ich gebe es zu, es war halt einfach die nächstgelegene Tür. Ich ging hinein. Und es lachte mich die Titelfolie mit einem lustig langen Namen der Präsentierenden darauf an: Anjarasoa Mariette Andrianantoandro.

Umso kürzer war aber die Vortragende selbst und während sie mit ihrem verlegenheits-überdeckenden Lächeln und ihren schlau funkelnden Mandelaugen vortrug und sich etwas nervös mit ihren zimtfarbenen Fingern in die Karteikärtchen grub, blieb für mich die Zeit stehen. Es sog mich in ihren Zauber hinein, und ich starrte wie ein Träumer auf Ihre schneeweißen Zähne und ja, auch ab und zu mal auf ihr Dekolletee. Hätte ich in vorderster Reihe gesessen, ich hätte sie gewiss mit meinem Glotzen aus dem Konzept gebracht.

Und ihre Stimme… so sexy, dieser französische Akzent ihres Englisch und so singend.

Schließlich, erwähnte sie, dass sie auch ein Poster habe und dort um 14Uhr stehen würde.

Wenn ich mir etwas aus ihrem Vortrag gemerkt hatte, dann diese Uhrzeit.

Ich ging aber nach dem Vortrag noch zu ihr und gratulierte ihr per Handschlag zu der guten Präsentation, und da fühlte ich auch wie weich ihre Haut war, wenn man das von einem Händedruck beurteilen kann. Ich konnte es.

Um 14 Uhr stand ich pünktlich (wie selten in meinem Leben) vor ihrem Poster und ich stellte Fragen zu ihrem Thema, die ich selbst kaum hörte, da meine Gedanken nur darum kreisten, wie ich wohl ihre Telefonnummer entlocken könnte, ohne dass es zu plump klang. Und jeder andere Besucher an ihrem Poster war wie ein Dieb, der mir meinen Zauber, meinen magischen Moment stahl.

Schließlich kam die bedrückende Stille in der wir beide nicht wussten, was wir sagen sollten. Also: „Kann ich Deine Nummer haben? Damit…“

„ Ja klar. Hast Du was zum Schreiben?“

Und ich nestelte blitzschnell mein Handy aus der Hosentasche.

„Du trägst Dein Handy in der Hosentasche?“

„Ähm, ja“

„Du weißt aber schon, dass man davon impotent werden kann, oder?“

„Ähm, ja?“

„Oui.“

Und sie lächelte ihr Zauberlächeln.

Ich liebe französischen Humor und ihre direkte Art.

Ich tippte also ihre Nummer in mein Handy und nicht nur das, sie sagte auch wir könnten uns am Abend zu einem Essen treffen. Oh mein Gott, perfekter ging es ja beinah nicht, oder!?

Also rief ich sie eine Stunde vorher an, keiner nahm ab.

Ich ging zu unserem Treffpunkt, ein Restaurant im Stadtzentrum. Aber sie war nicht da. Ich wartete ein paar Minuten…, dann erhielt ich eine SMS: Sie wurde spontan zum Essen mit einem Professor eingeladen und hatte meine Nummer ja vor meinen Anrufen nicht und blablabla.

Ich war verärgert. Dieses Szenario kannte ich schon viel zu gut.

Also war es wieder nur ein ‚freundliches’ Date. Aber wenn sie in mich auch so verliebt wäre wie ich, dann hätte sie doch den alten Professor aufgeschoben?

Ich schlenderte noch ein wenig durch die Stadt bis zu meinem Hotel, aß unterwegs 2 herzhafte Crepes, die meine Laune wieder etwas anhoben und schließlich war ein neuer Tag.

Dieses Mal schlief ich bis 10Uhr, denn ich war ja nur Gast auf dieser Konferenz und hatte keinerlei Verpflichtungen. Ein kurzer Blick auf mein Handy: 3 Nachrichten.

2 Entschuldigungen und ein Vorschlag: Sie würde mich heute Abend zum Essen einladen um es wieder gutzumachen.

Das war Musik in meinen Augen. Und freudig ging ich das Petit-Dejeuner an.

Der Tag kam mir recht lang vor bis es endlich Abend wurde und auch auf der Konferenz bekam ich sie nicht zu Gesicht, wie ich heimlich hoffte.

Ich rief wieder eine Stunde vor unserem abgesprochenen ‚Termin’ an, diesmal ging sie sofort ran mit ihrer französischen Stimme.

„Halo?“

Dieses eine Wort, und ich war schon wieder vollkommen hingerissen.

Wir trafen uns und redeten wie Wasserfälle, tranken aber Wein und lachten. Drei wunderbare Entdeckungen:

Sie singt wundervoll, sie ist aus Madagaskar, wo man immer so lange Namen hat und ihr Name Anjara, bedeutet Schicksal.

Ich offerierte ihr sie nach Hause zu bringen. Sie wehrte sich in keiner Weise dagegen. Und so gingen wir mit viel Knistern und Schmetterlingen die kleinen französischen Gassen entlang bis wir ihr Hotel erreichten. Bis wir die Stufen zum Eingang erreichten, bis wir den Fahrstuhl erreichten.

„Ich glaube von hier an komme ich sicher auf mein Zimmer“

„Ja.“

„Sehen wir uns morgen?“

„Ja.“

„Das war ein wunderschöner Abend, Alex.“

„Ja.“

Warum ich so monoton war, kann man sich sicherlich schon denken. Meine Gedanken drehten sich nur darum, den richtigen Moment für den ersten Kuss abzupassen.

Und schließlich schlang ich meine Arme um Ihre Taille und küsste sie auf ihren wunderschönen Mund. Es passierte so selbstverständlich und ich weiß auch nicht mehr wie viele Leute wegen uns die Treppe genommen haben. All das Knistern entlud sich im atemlosen Knutschen.

Irgendwann konnten wir uns dann doch mit viel Grinsen trennen und wie ein Gentleman habe ich in meinem eigenen Hotel übernachtet.

Die restliche Woche von Mittwoch-Freitag kam mir vor wie eine Flitterwoche. Wir sahen uns fast jede Stunde und sprachen über Gott und die Welt, aber noch öfter kamen wir erst gar nicht zum Sprechen.

Seit dem 14. Februar, Valentinstag, und dem Versprechen, dass wir zusammen alt werden wollen, haben wir uns nicht mehr gesehen, aber schreiben jeden Tag miteinander.

Wir sind beide gläubig und das hilft, denn wir wissen:

 

4 Die Liebe ist geduldig und freundlich. Sie ist nicht neidisch oder überheblich, stolz

5 oder anstößig. Die Liebe ist nicht selbstsüchtig. Sie lässt sich nicht reizen, und wenn man ihr Böses tut, trägt sie es nicht nach.

6 Sie freut sich niemals über Ungerechtigkeit, sondern sie freut sich immer an der Wahrheit.

7 Die Liebe erträgt alles, verliert nie den Glauben, bewahrt stets die Hoffnung und bleibt bestehen, was auch geschieht.

8 Die Liebe wird niemals aufhören, selbst wenn Prophetie, das Reden in unbekannten Sprachen und die Erkenntnis vergehen werden.

1. Korinther, 13, 4-8

 

In diesem Sinne seid herzlich gegrüßt,

 

Euer Francois

Viada und der schwarze Turm

Es war einmal eine ganz gewöhnliche Holzfällerfamilie in den tiefen Wäldern eines großen und weiten Landes, das voll von Wundern war.

Sie wohnten in einer kleinen aber feinen Holzhütte. Und da es Winter war, stieg feiner Rauch aus der Hütte und das Dunkel des Abends brach früh herein.

Doch etwas war an diesem Abend ganz besonders, denn wo sonst alles still wurde drang nun das Geschrei eines neugeborenen Menschen durch die hölzernen Wände bis weit in den Wald hinaus.

Das Kind hatte große blaue, strahlende Augen und dunkles Haar. Aber am auffälligsten war sein fröhliches Lachen.

Es war ein Mädchen und da es zu Beginn des Winters geboren ward, nannten seine Eltern es Viada ‚Schneeflocke’.

Die ersten Jahre verbrachte Viada immer in der unmittelbaren Nähe ihrer Mutter und sie lernte früh die Hütte sauber und instand zu halten. Viada versäumte nie eine Gelegenheit um ihr gemeinsames Heim etwas schöner zu machen und verzierte und schmückte alles, wo sie nur konnte.

Doch am liebsten stahl sie sich heimlich in den Stall, wo sie mit Lutz dem Kater und Barnabas ihrem Zugpferd sprach, denn außer ihnen und ihren Eltern hatte sie sonst niemanden.

Als Viada neun war schaffte sie es zum ersten Mal heimlich auf Barnabas’ Rücken halt zu finden. Und als Ihr Vater tief im Wald war bäume zu fällen und auch ihre Mutter weg war um dem Vater das Mittag zu bringen, da machte sie Barnabas heimlich los und ritt mit ihm ein Stückchen Richtung Stadt. Mit der Zeit traute sie sich immer weiter, denn Barnabas kannte den Weg gut und Viada liebte es den Wind in ihrem Gesicht und ihren Haaren zu spüren. Doch nach einer knappen Stunde musste sie immer wieder zurück sein. Es war eine glückliche Zeit.

Eines Tages kam ihr Vater nicht vom Markt zurück, wo er wie gewöhnlich Holz verkaufen ging.

Ihre Mutter machte sich große Sorgen. Und als sie schließlich auch am zweiten Tage nichts hörten machte sich ihre Mutter am dritten Tag auf in die Stadt zu Fuß um nach ihrem Mann zu suchen. Viada blieb allein zurück.

Am vierten Tag kam ihre Mutter zurück, aber es war eine andere.

Sie schien die ganze Nacht durchgelaufen zu sein. Ihr Blick war leer und tiefe Falten zogen sich durch ein steinernes Gesicht wie Risse.

Auf alles Fragen bekam Viada nur eine Antwort, „Er ist fort!“ „Für immer.“

Diese Worte hallten lange in Viadas Kopf wider.

Aber nicht nur, dass Vater weg war, auch Barnabas war fort und nur Lutz blieb, der sie tröstete.

Viadas Mutter wurde zu einer wandelnden Puppe, die nicht sprach als wäre es Viadas Schuld, dass ihr Vater weg war. Und aus Viadas strahlendem Lachen wurden erstickte Tränen.

Eines Tagen kam die Mutter mit einem Mann zurück, der blieb.

Das Schweigen wurde durch laute Schreie ersetzt, verursacht durch viel Alkohol, vielzuviel Alkohol.

Und eines Tages als Viada 16 war sagte ihre Mutter zu ihr: „Du bist alt genug, geh und such Dir deinen eigenen Mann. Hier wird es zu eng. Denn ihrer Mutter entgingen nicht die langen Blicke mit denen der Stiefvater Viada verfolgte.

Mit wenig und Lutz ging Viada fort. Nicht verstehend wie all dies über sie kommen konnte.

Da sie schön war dauerte es nicht lange bis ein recht wohlhabender Müller um sie freite und sie zu sich einlud zu wohnen. Da sie sehr geschickt war den Haushalt zu führen ging es zunächst auch gut. Aber schnell wurde der Müller so besitzergreifend und versessen auf die schöne Viada, dass er sie nicht mehr außer Hause ließ und jeden ihrer Schritte verfolgen ließ. Hätte Viada nicht noch Lutz gehabt, den der Müller mürrisch von Anbeginn akzeptieren musste, so wäre sie sehr sicher sehr einsam gewesen.

Viada, die die Wildheit des Waldes gewohnt war, wurde von der Mühle und der Besessenheit des Müllers buchstäblich zermahlen und eines Nachts machte sie sich auf und davon, nur mit einem Nachthemd und einen Schal bekleidet und natürlich Lutz in Richtung Wald, denn in die Stadt wollte sie nicht mehr.

Nachdem sie die ganze Nacht durch den Wald geirrt war, da traf sie des Morgens an einer Lichtung einen etwas älteren Mann, der vor sich hinzusummen schien und Kräuter sammelte, die nach Viadas Wissen alle zur Heilung dienten.

Als sie meinte, dass von diesem Mann nichts Böses ausginge, da fasste sie Ihren Mut und zeigte sich ihm und bat ihn um Hilfe, denn sie war völlig durchfroren.

Der Mann starrte sie lange an, als wäre sie ein Geist, oder vielleicht brauchte er auch nur sehr lange um aus seiner Gedankenwelt in die Realität zu kommen. Jedenfalls dauerte es unangenehm lange bis er schließlich lächelte und sagte: “Natürlich, natürlich. Mein Mädel, komm ich habe einen Mantel bei meinem Pferd und ich habe ein großes Schloss, das wird dir gefallen, von da aus kannst du das Meer sehen, hast Du schon mal das Meer gesehen?“ Viada schüttelte den Kopf und war etwas ängstlich, aber als sie das Pferd sah verflog ihre Angst und mit dem warmen, teuren Mantel auch ihr Frieren. Der Mann erzählte in einem fort, was er alles tat und hatte und dass er vieles sehen und verstehen würde, aber sicher nicht mit einem wilden, scheuen Mädchen gerechnet hatte. Viada hörte dies aber alles nur halb, denn sie genoss das Fell des Pferdes auf dem sie mitreiten durfte und die Wärme, die von ihm ausging, es erinnerte sie an Barnabas, wo er wohl jetzt sein mochte?

Gegen Abend kamen sie bei einem riesigen Turm an, der aus schwarzem Stein zu bestehen schien. Ein großes hölzernes Tor öffnete sich und ein kerzenerleuchtetes, reiches Innere wurde sichtbar. Ein Kamin sorgte für eine angenehme Wärme, aber als Viada den Kopf hob so schien der Turm kein Ende zu haben. Zumindest sah sie kein Dach, nur eine endlose Wendeltreppe, die sich an der Außenmauer des Turmes immer höher wand.

„Auf dem Dach befindet sich mein Teleskop. Damit kannst Du alles aus sicherer Entfernung sehen was im Reich passiert! Hehehe.“

Viadas Augen wurden groß. „Ja? Ist das wahr?“

„Das ist es, was Du Dir immer gewünscht hast, nicht wahr? Alles zu sehen und dich sicher zu fühlen.“

„Darf ich durch das Teleskop schauen?“

„Aber sicher. Dein Wunsch ist mir Befehl. Hehehe.“

Und sie erklommen die Wendeltreppe, die sie schneller hinter sich ließen als es natürlich gewesen wäre und sie erreichten die Dachluke, traten hinaus und blickten durch das wundersame, enorme Teleskop.

Der Mann hatte nicht gelogen. Sie sahen alles was im Reich geschah: Blumen, Rehe, Vögel, Lichtungen, Wälder, Menschen, Städte ja sogar das Meer in weiter Ferne und die Sterne in der Nacht.

Viada war entzückt und seit langem zeichnete sich ein Lächeln auf Ihrem Mund ab.

„Du darfst hier wohnen bleiben so lange Du willst. Doch verlasse niemals den Wald, wenn Du diesen verlässt wirst Du nicht mehr zurückkehren können und auf Dich allein gestellt sein und niemand wird sich Deiner erbarmen oder Dir helfen.“ Sagte der Mann.

Viada nickte. „Ich werde ihn nicht verlassen. Aber wird das Pferd hierbleiben?“ Der Mann entgegnete. „Solange Du hier bleibst wird sich alles nach Deinen Wünschen erfüllen.“

Und mit einem hallenden Lachen löste sich der Mann in Luft auf.

Viada war zunächst verwundert und begriff nicht richtig. Aber als sie das Tor öffnete, da stand das Pferd. „Wie soll ich Dich nur nennen? Hmm.“

„Ich heiße Mufasa“

Viada erschrak. Sprach das Pferd wirklich mit ihr? Hatte sie nun allen Verstand verloren. Schlief sie vielleicht noch irgendwo im Wald und träumte?

„Nein, Du träumst nicht. Du hast Dir doch gewünscht, dass ich reden kann, nicht“

Viada nickte langsam und begriff. Was der Mann gesagt hatte stimmte wirklich. Alles schien sich so zu ändern wie sie wollte.

Nach ein paar Tagen war Lutz wieder jünger. Es gab eine große Küche im Turm. Mit dem Teleskop konnte sie sogar Bienen beobachten. Alles war wieder wunderbar geschmückt, wie zu ihrer Kindheit in der Hütte. Und sie hatte ein großes federweiches Bett von dem aus sie direkt in den Sternenhimmel schauen konnte.

Täglich unternahm sie lange Ritte mit Mufasa durch den Wald und Viada fühlte sich eigentlich ganz wohl in ihrer eigenen kleinen Welt.

Doch eines Tages als sie wieder ausgeritten war und auch Lutz mitgenommen hatte und gerade zu Mittag aß, da entlief ihr Lutz denn er schien etwas zu hören, was Viada nicht vernahm. Neugierig verfolgte Viada den kleinen Lutz bis sie auch ein Pfeifen vernahm, schließlich das Rauschen eines Baches und dann die Gestalt eines jungen Mannes. Der sich im Bach wusch.

Scheu drückte sich Viada gegen einen nahen Baum und beobachtete voller Neugier wer dort so fröhlich und unbesorgt badete.

„He Du Bursche lass ja meine Sachen wo sie sind!“ Lutz schien die Rufe des Badenden zu ignorieren und nach etwas Essbarem zu suchen. Was er auch fand.

Triefend stürmte der Unbekannte zu seinen Sachen, kam jedoch ins Stolpern und viel der Länge lang hin. Da konnte Viada nicht anders und musste Lachen. Zum ersten Mal seit Jahren erklang ihr strahlendes Lachen, welches sie natürlich verriet. Sie wollte schnell weglaufen, aber würde Lutz dann zurückfinden? Und überhaupt, was machte dieser Eindringling in ihrem Wald?

„Gehört Dir der Strolch?“

„Ja. Lutz komm her, du Nimmersatt!“

„Ist schon ok, er kann die wurst haben. Wenn DU mir sagst wo ich am schnellsten in die nächste Stadt komme. Ich habe mich etwas verirrt denke ich.“

„Ähm, ich glaube da lang.“ Viada bedeutete in eine wahllose Richtung.

Der Fremdling schaute sie prüfend an. „Hmm. Du bist wohl auch nicht wirklich mit der Gegend vertraut was? Von dort bin ich soeben gekommen. – Ich schätze ich muss dann wohl irgendwann hungrig reiten.“

„Du hast auch ein Pferd?“

„Ja klar“ Ich laufe doch nicht die ganze Strecke.“

„Darf ich es sehen?“

„Natürlich.“ Der Fremde pfiff einen schrillen Ton und wenige Sekunden später kam ein schönes, starkes dunkelbraunes Pferd durch die Büsche getrabt.

„Das ist Bram. Bram das ist…“

„Viada“

Der Fremde schmunzelte. „Bram das ist Viada.“

„Hallo Bram. Du bist ja ein schöner Bursche.“ Und sie streichelte Bram die Nase.

„Ich nehme an Du hast auch ein Pferd dem ich mich vorstellen kann?“

„Ja. Mufasa. Aber hat es lieber wenn man zu ihm kommt.“

Und so gingen Sie zu Viadas Mittagsplatz, aßen und stellten einander vor.

Sander hieß der Fremde.

„Ich reise viel um die Welt und schreibe Geschichten darüber.“

„Einfach so?“

„Ja. Aber es ist gar nicht immer so einfach. Die Menschen wollen bestimmte Dinge hören, weißt Du. Und die Wahrheit ist da leider nicht immer dabei.“

„Du verdienst also dein Geld mit Lügengeschichten!?“

„So würde ich es nicht sagen. Eher mit ausgeschmückter Wahrheit. Ich kann Dir ja mal eine Kostprobe geben.“

Und während Sander Viada eine Abenteuergeschichte nach der anderen erzählte und von den tollsten Wundern des Reiches wurde es langsam dunkler.

„Oh, ich muss zurück.“

„Zurück wohin?“

„Nach hause.“

„Habt ihr da auch eine Scheune in der ich und Bram unterkommen können? Es ist gleich dunkel und da komm ich nicht wirklich weiter.“

Viada zögerte und eine süße Gedankenfalte zeigte sich auf ihrer Stirn.

„Nun gut du kannst mitkommen.“

Als sie beide den Turm erreichten. Begleitete sie Sander und die Pferde in den Stall, wo sie ihm ein Lager aus Stroh errichtete. Er war es zufrieden.

Viada in ihrem großen Federbett konnte jedoch nicht so gut schlafen. Sander und seine Erzählungen von der großen weiten Welt und seine unbekümmerte und fröhliche Art gingen ihr durch den Kopf.

Am nächsten Morgen machte sie für sie beide Frühstück und Sander brachte sie zum Lachen, denn er liebte ihr Lachen.

„Aber was machst Du hier allein in diesem Turm? Ist da nicht noch jemand?“

„Nein, nur ich, Lutz und Mufasa. Aber ich bin glücklich hier. Und oben auf dem Dach habe ich ein Teleskop mit dem ich alles im Wald sehen kann!“

„Zeigst du es mir?“

Und so sah auch Sander alles was im Reich geschah und war beeindruckt.

„Jetzt weiß ich auch wie ich zur nächsten Stadt komme. Aber die Stadt erlebst du ja gar nicht durch das Ding.“

„Nein, das will ich nicht. Die Menschen dort sind gierig und schlecht.“

Sander nickte. „Nun gut. Danke für Alles. Ich muss jetzt weiter.“

Betreten gingen sie die Wendeltreppe hinunter.

Bevor Sander auf Bram Platz nahm gab er Viada einen Handkuss, dass sie errötete.

„Vielleicht verirre ich mich ja wieder mal hierher, wenn Du wünschst.“

„Ja, das wäre schön.“

Und so geschah es auch.

Einmal im Monat wenn Vollmond war, da ‚verirrte’ sich Sander zu dem großen schwarzen Turm und Viada zauberte die tollsten Gerichte, die Sander mit kühnen Geschichten bezahlte und die wiederum Viada zum Lachen brachten.

Und je mehr Geschichten Sander erzählte, von Ländern und von einigen Leuten, die er seine Freunde nannte, wie den Schneidermeister Sechiel, Bodo der Wirt, Michel der Botenjunge und viele mehr, da sehnte sich Viada doch auch heimlich danach diese Leute und Orte mit Ihren eigenen Augen zu sehen und kennenzulernen. Aber ihr fielen immer wieder die Worte des alten Mannes ein:

.. verlasse niemals den Wald, wenn Du diesen verlässt wirst Du nicht mehr zurückkehren können und auf Dich allein gestellt sein und niemand wird sich Deiner erbarmen oder Dir helfen.

„Willst Du nicht mal mit mir mitkommen?“

„Nein. Ich kann nicht.“

„Warum denn nicht?“

„Ich will nicht. Und außerdem hab ich hier alles was ich mir wünsche!“

„Aber Deine Augen sagen mir doch, dass Du auch sehen willst was ich sehe.“

„Mit meinem Teleskop sehe ich genug.“

„Aber Du fühlst nicht den Sand am Meeresstrand, hörst nicht das Lachen und Weinen der Leute. Die Kühle de Flu…“

„Hör auf!!“

Sander traute sich nicht weiter zu fragen, da er sah wie sehr Viada dieses Thema traurig machte und er sah Angst in ihren großen blauen Augen.

„Ist schon ok. Ich werde wiederkommen und Dir die Welt hierherbringen.“

Und zum ersten Mal trafen sich ihre Hände und sie hielten sich eine lange Weile.

So zogen die Monate dahin und immer wieder kam Sander wie versprochen jeden Vollmond zu dem Turm und jedes Mal wurden sie vertrauter miteinander.

Wie wir wissen war der Turm kein gewöhnlicher Turm und der Ort an dem sich Viada befand kein gewöhnlicher Ort, denn alles schien sich nach ihrem Wunsch zu ändern.

Und so kam es, dass Sander’s Geschichten und Treue aus Viadas Sehnen Wünsche formte, aus Ihrer Angst Hoffnung.

Sander kam so oft er konnte und jedes Mal wenn er zu dem Turm zurückkehrte wurde dieser heller. Aus dem Schwarz wurde Steingrau. Der Wald wurde grüner und lichter. Viada selbst schien das selbst kaum zu bemerken und das Innere des Turmes war auch immer noch gleich.

„Wenn Du alles nach Deinen Wünschen formen kannst, warum dieser Turm. Warum nicht ein schönes Haus?

„Aber dann kann ich nicht mehr die Welt sehen.“

„Ich bringe Dir doch die Welt.“

„Aber Du bist nicht immer da.“

„Was wenn ich bleibe?“

„Das würdest Du für mich tun? A..a.aber was wird dann aus Deinen Reisen und Freunden und Geschichten?“

„Ich habe genug gesehen und kennengelernt, dass es bis an mein Lebensende reicht. Den Rest erledigt unsere Fantasie! Zusammen können wir uns unsere eigene Welt erträumen und wünschen!“

Viada bekam Freudentränen in die Augen und sie umarmten sich lang und fest.

So blieb Sander bei ihr und mit jedem Lachen von Viada veränderte sich der Turm. Tag für Tag, trug sich ein Stein nach dem anderen ab und verwandelte sich in ein wunderschönes, weißes Haus mit einem kleinen Schornstein.

Auch das Innere änderte sich. Das Zimmer wurde größer, so dass sie tanzen konnten, die Küche bekam Fenster zur Südseite und Blumen. Und ja irgendwann entstand auch ein größeres Schlafzimmer.

Schließlich war der dunkle, schwarze Turm ganz verschwunden und der Wald wandelte sich zur Meeresseite hin in ein großes, buntes Blumenfeld.

Sander nahm Viada an die Hand zog sie zu Bram in den Sattel und sie ritten beide durch die Blumen zum Meer. Dort küssten sie sich zum ersten Mal.

So heilte Treue den Schmerz der Vergangenheit und verwandelte Mauern zu Freiheit.

Tja, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute in einem Haus, wo es vielleicht nicht ganz so normal zugeht wie wir es kennen…

Ein Sommerabend in Helsinki

 

Die Steinplatten geben noch die Wärme des Tages ab, während eine seichte Meeresbrise leichte Sommerkleider tanzen lässt. Möwen schreien im Sonnenrot. Straßenbahnen stören immer seltener die Blicke auf Schaufenster. Musik aller Art vermischt sich zu einem Weltstadtgefühl.

Einem Durchgang folge ich zu einem kleinen Hinterhof. Fünf alte Herren swingen hier zu Lammkotelett und Chardonnay.
Ich steh‘ und lausche. Unsichtbar schaue ich zu, wie „Georgia“ erklingt.
Ich bleibe.

Die rostige Stimme des Achtzigjährigen ist Melancholie und Salz.
Jeder schmeckt sie, schluckt, spürt’s im Hals.
Jeder Frau die ihn passiert küsst er charmant die Hand und gibt Sie ihr zitternd wieder.
Mancher Dame entfällt ein Tränchen, streift sie seinen verschmitzten Blick.
Welchen Bann muss dieser Alte haben, dass ihm dies bei „Sunny“ glückt?

Und der Chor der Tränen wird größer von Lied zu Lied. „It don’t mean a thing” wird Stille, unerträgliche Spannung.
Die Band spielt, der Sänger reglos.

Ein wässriges Publikum erhebt sich und ertönt an seiner statt: „Gimme freedom Lord in love“.
Ein jeder in Schwarz gekleidet, gibt ihm letzten Abschied.
Sie knien vor dem Alten nieder, umweinen, umarmen, umsingen Ihn.

Unwillkürlich singe ich mit, ein unbekanntes Lied, für einen Unbekannten.

Dann hinterlasse ich den Hof in eine Stadt, die nun Heimat ist. Heimat eines achtzigjährigen Lebens. Wo die Möwen schreien, auch wenn es Winter ist.