Abirede 2001

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Nun ist es wie jedes Jahr, mal wieder Zeit für ein süß-saures Abschiedshallo. Ein Hallo an alle dieses geselligen Kreises und ein Abschied an diejenigen, die 8-9 Jahre unseres Lebens prägten. Wie sie es für jeden einzelnen von uns beeinflußten sei dahingestellt, auf jeden Fall gaben sie uns Erfahrung und viel Wissen mit auf den Weg. Ob es nun von den gemeinen Brüchen bis hin zur Integralrechnung reichte oder aber von den verschiedensten Fällen bis zur Analyse und Interpretation, nicht nur von Literatur. So waren diese Personen die Scharfrichter unserer Taten und Createure mannigfaltiger Fähigkeiten – kurz unsere Lehrer denen wir hiermit für alles danken wollen.

Lassen wir unseren Blick nun dort hinüber schweifen, wo wir als kleine Kerne zu lernfähigen Früchtchen reiften, während die restlichen Tage der DDR mit den Einschulungssüßigkeiten hinuntergeschluckt wurden, machte sich die Wende nur am schwerer werdenden Sparschwein bemerkbar, welches jetzt mit Silber gefüllt war anstatt mit Aluminium.

Ansonsten blieben die Streitigkeiten um einen Luftballon oder Spielzeug die gleichen, nur die Erwachsenen schienen bewegter und aufgeregter. Jeder hatte so seine abenteuerlichen Erlebnisse, die er mit seiner Familie teilen konnte. Heute teilt man sich lediglich noch den Wohnungseingang und die Telefonkosten. Die Betreffenden, welche mit diesem kurzen geschichtlichen Abriss gemeint sind, dürften jetzt in sich hinein geschmunzelt haben, unsere guten alten Eltern. Wobei sich die Adjektive „gut“ und „alt“ rein perspektivisch ergeben.

Wie dem auch sei, jedenfalls haben wir es hier mit 12 langen Jahren zu tun, bei manch einem mehr, selten weniger. Also 12 Jahre von 18, O Gott Frau Melzer helfen sie mir, ja das sind 66,6 Periode Prozent usw. von unserem bisherigen Leben. Während dieser Zeit wurden die unterschiedlichsten Charaktere auf engsten Raum in Klassen zusammen gepreßt. Wir durchwanderten gemeinsam die verschiedenen Phasen: von der Sandkiste zur Schmuckkiste, vom Matchboxer zum eigenen Gefährt.

Mit den Klassen meine ich übrigens nicht nur Zahlen wie 10/3, 10/1 und dergleichen, sondern die komplizierte patriarchische Strukturierung der Schule. Da wären 5 große Klassen:

In der 1. Klasse steht der gesetzerlassende Direktor, welcher von einer höheren Macht eingesetzt wird, er beherrscht außerdem die Judikative, deren Repräsentanten dann die Lehrer darstellen.

In der 2. Klasse befinden sich Autoritätspersonen 2. Ranges, die die rechte und linke Hand des Direktors verkörpern, die Sekretärin und der Hausmeister- Rat und Tat.

In der 3. Klasse schließlich befinden sich die schon oben erwähnten Lehrer deren Aufgabenfeld sehr vielschichtig zu betrachten ist.

Erstens bilden sie die Schüler aus, die die 5. und letzte Klasse bilden, damit diese eventuell eine höhere Ebene erreichen. Zweitens besitzen die Lehrer verheerende Bestrafungsmöglichkeiten um jede Rebellion, die sich im Kaugummikauen und –kleben, sowie in mysteriösen Konversationen über 0,01 Dezibel während des Unterrichts äußern.

Um diesem entgegen zu wirken werden Maßnahmen ergriffen, die die Psyche eines Schülers auf stärkste angreift und ihn somit kontrollierbar macht. Ein Beispiel dafür wäre das Erteilen einer 6 für vermeintlich nicht erbrachte Leistung oder das mehrere Kilo schwere unmenschliche Schulbüchertragen über Tausende von Etagen. Drittens bilden sie eine Art Kollektiv, das gemeinsam assoziiert ist. Diese gedankliche Verbundenheit wird durch die Energieaufnahme mittels immensen Kaffeekonsums erreicht. Somit weiß sofort jeder Lehrer über das Verhalten und die Leistungen eines Schülers bescheid. Und 4. das repräsentative Vertreten des Direktors, welches sich in der Entscheidung über Aufstieg eines Schülers äußert, was wiederum Hoffnung auf baldige Entlassung bedeutet, oder dem Wiederholen eines solchen extremen „Bildungsjahres“. Die Entscheidung ist vollkommen willkürlich und übersteht nur derjenige, der beim auswürfeln der Note in den einzelnen Arbeiten Glück gekauft hat. Allerdings reichen unsere Informationen hierüber nicht ganz aus, da das Würfeln an geheimen Orten geschieht, wie verräucherten Cafes oder aber im priv. Versteck der Lehrer, die unauffindbar sind.

Kommen wir nun zur 4. Klasse , den Putzfrauen und Bauarbeitern, eine unmerkliche unscheinbare Klasse, die aber stets zur Erhaltung der Schulhardware beiträgt und folglich sehr bedeutend für das Schulkonzept ist. Die Bauarbeiter renovieren und schließen jeden Riß und jedes Loch, damit der Gedanke an eine Flucht in der Unterrichtszeit gar nicht erst aufkommt. Die Putzfrauen hingegen beseitigen jeden Schmutz und Müll der auch nur im Geringsten ein Fluchtwerkzeug darstellen könnte und melden dies der obersten Direktive. Diese setzt sogenannte Belehrungen auf, welche die Schüler in ihrer dynamischen Freiheit auf´s Minimalste einschränkt. Das bei all den Aktivitäten der 4. Klasse das Äußere der Schule auf  Hochglanzgebracht wird, ist natürlich nur Blendwerk für Schüler und Öffentlichkeit.

Und nun zur letzten Etappe- der 5. Klasse- unsere Wenigkeit. Wie schon zur Zeit des Absolutismus bildet die ärmste und versklavte Schicht den größten Teil der Bevölkerung, so auch die rund 630 Schüler. Ihr Hauptmerkmal sind die übergroßen so definierten Ranzen, die sich auf dem Rücken der Opfer befinden und an die sie die ganze Schulzeit gefesselt sind. Damit wird ein zu schnelles körperliches Wachstum verhindert und die Umstellung vom freiheitsliebenden Kind zur Knechtschaft erleichtert. In diesen riesenhaften Rucksäcken oder wie die älteren schon englisch sprechenden Schüler sagen: Backpack, befindet sich all das Wissen, das eigentlich im Kopf sein sollte, sowie Verpflegung für die Tagesreise von den heimischen Gefilden zur Schule und zurück. Die 5. Klasse hat keine Rechte außer auf Bildung und hat den oberen Schichten bedingungslos zu gehorchen. Für den Schüler gibt es keine Freizeit, da diese von Hausaufgaben ausgefüllt wird und beim Schüler zu unsäglicher Erschöpfung führt. Die Ferien sind wie immer zu kurz um sich davon zu erholen. Doch inzwischen existiert eine Untergrundorganisation, die von unserem Schulsprecher angeführt wird und dem die Klassensprecher Bericht erstatten. Wir sind stolz schon so manchen Papierkrieg gewonnen zu haben und vielleicht in absehbarer Zeit werden wir eine Demokratie besitzen, wie sie schon früher in der guten alten Steinzeit existierte.

Ich glaube an die Freiheit von Schülern und Jugendlichen.

Ich glaube an die Sprengung ränzischer Fesseln.

Und ich glaube der Tag wird kommen, an dem Schüler, Putzfrauen, Lehrer, Sekretäre als auch Hausmeister und selbst der Direktor zusammen tanzen und wieder jagen werden, wo das Überleben und nicht das Allgemeinwissen, wo die Gemeinschaft und nicht die Klassen herrschen werden. BITTE APPLAUS !!!

 

Nachdem wir hier in aller Öffentlichkeit nun endlich einmal unsere Träume proklamiert und die schrecklichen aber wahren Hintergründe dieser Schule aufgedeckt haben, wollen wir ehrenvoll abtreten. Die Zukunft den jüngeren überlassen, die Vergangenheit als hoffentlich schöne Erinnerung den Älteren oder Reiferen vermachen. Das Heute erleben, genießen, feiern, jetzt und vor allem heute Abend, wo sie alle sehr herzlich willkommen sind. In diesem bedeutendem Sinne möchten wir uns noch einmal für all das nicht in Worte zu fassende bedanken, und wünschen uns dem ein oder anderem mal wieder zu begegnen.

Des Menschen Wege sind unergründlich.